Tisch und Bank am Vättern-See in Schweden

1 Jahr Auszeit – Erfahrungen, die ich teilen möchte

Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3 meiner Auszeit-Erfahrungen.

Es ist Zeit. Seit nunmehr einem Jahr mache ich meine sogenannte Auszeit. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, aufzutauchen, um mich zu blicken und loszugehen. Und natürlich auch ein bisschen darüber nachzudenken, was das alles gebracht hat. Was passiert während so einer Auszeit? Wo tauchen Schwierigkeiten auf? Dabei möchte ich so ehrlich und offen wie möglich meine Erfahrungen teilen, damit du, wenn du selbst mit dem Gedanken spielst, eine Auszeit zu nehmen, vielleicht auch etwas davon hast. Natürlich sind das nur meine Erfahrungen und sicher nicht allgemeingültig.

War das überhaupt eine Auszeit?

Ich glaube, es ist gar nicht so eindeutig, was „Auszeit“ überhaupt bedeutet. Der Hauptpunkt für mich war: Keine Arbeit für Geld machen. Und keinen Stress dadurch haben. Ich wollte mich erholen und mir Zeit dafür nehmen, meine nächsten Schritte im Leben zu erkunden. Ich denke, das habe ich geschafft. Komplett frei von allem unentspannten Tun war meine Auszeit allerdings nicht. Aber dazu später mehr.

Auszeit heißt irgendwo auch, dass man am Ende wieder zurückkehrt zu dem, was man vorher gemacht hat. Das hatte ich von vorneherein nicht geplant. Letztendlich glaube ich aber, weiß man vorher nie so recht, wo man landet, wenn man einmal anfängt querzudenken.

Abschied nehmen vom Leistungsdenken

Wenn auf einmal kein fester Tagesrhythmus mehr vorgegeben ist, dann stehen wir erstmal da. Zu Beginn war bei mir viel Erleichterung, endlich mal entspannen zu können. Die anfängliche Begeisterung für diesen Freiraum wich aber rasch dem Druck: nun hast du endlich mal richtig viel Zeit, mach was damit!

Dieser Druck ist, glaube ich, in uns allen fest verankert. Er folgt aus dem Glaubenssatz „Nur wer was leistet, ist was wert.“, der grundlegend unsere Gesellschaft bestimmt. Bei mir kommt hinzu: „Du musst was Sinnvolles mit deinem Leben machen.“ Ich kann mich dem entziehen durch Fernsehen, Alkohol oder andere betäubende Mechanismen. Oder ich gebe ihm nach und arbeite bis zum Umfallen. Beides finde ich keine gesunde Lösung.

Für mich läuft es letztendlich darauf hinaus, dass ich mich bedingungslos annehmen muss – mit allen sinnvollen und sinnlosen Anteilen. Dann erst bin ich frei, ohne Druck zu entscheiden.

Völlige Eigenverantwortung

Auf einmal gibt es niemanden mehr, der dir sagt, was du den ganzen Tag tun sollst. Was tust du?

Auf einmal musste ich über alles nachdenken, was ich tun will und wonach mir ist. Das ist gar nicht so einfach. Denn es passieren ganz schnell Automatismen, wie z.B. ein Buch anfangen und gleich fertig lesen oder den Computer anschalten und stundenlang völlig sinnlos durchs WWW surfen.

Und gleichzeitig ist es so eine Chance! Wann, seitdem wir Kinder waren, hatten wir denn schonmal die Gelegenheit, einfach nur zu sein und jedem noch so kleinen Impuls zu folgen? Der Haken an der Sache ist: wir müssen das erst wieder lernen. Und das dauert – denn in uns sind so viele Gedanken, die uns das erschweren. Was gehört sich, was gehört sich nicht, was sollte ich tun, was sollte ich nicht tun, …

Ich habe immer wieder kleine Versuche unternommen, Struktur in meinen Tagesablauf zu bringen. So richtig geglückt ist mir das nicht. Und aktuell zweifle ich daran, dass das überhaupt sinnvoll ist.

Loslassen von Ballast

Bereits zu Beginn meiner Auszeit habe ich viel losgelassen, was mich belastet hat – zuallererst meinen damaligen Job. Aber erst nach und nach begriff ich, dass es noch so viel mehr gibt, was mir mehr Kraft nimmt als gibt. Aufgaben, bei denen ich mich lange nicht traute, sie abzugeben. Sie alle schleppte ich noch lange durch die Auszeit mit. Und ich wartete darauf, dass sie mir vielleicht durch das Mehr an Zeit wieder Spaß machen würden. Nun, in den letzten Wochen meiner Auszeit, hab ich es geschafft, auch sie loszulassen. Und damit starte ich in eine neue Freiheit!

Dazu gehört einerseits, zu wissen, dass nicht die Welt untergeht, wenn ich einer Aufgabe nicht mehr nachgehe. Dazu gehört auch das Wissen, dass Menschen mich nicht automatisch nicht mehr leiden können, wenn ich etwas nicht mehr mache. Und dann besteht die Freiheit natürlich auch in der Abwesenheit von Ballast und der greifbaren Freiheit für Neues.

Tiefen der Auszeit

Ich hatte während meiner Auszeit aber auch immer wieder Phasen, wo es mir wirklich schlecht ging. Zeitweise fühlte ich mich so antriebslos und gefühlsarm, dass ich mir Sorgen machte, eine Depression zu entwickeln. In diesem Phasen vergrub ich mich in Büchern und Serien. Das wies mich aber auch darauf hin, was mir fehlte. Ich genoss es sehr, Buffy anzusehen, eine Fantasy-Serie, in der es eine feste Gruppe gibt, die immer wieder gemeinsam Vampire und Dämonen bekämpft. Sie halten zusammen, unterstützen einander und sind füreinander da. Und ich war in meiner Auszeit zeitweise ganz schön viel alleine.

Gemeinschaft als Lebensgrundlage

Ich habe gemerkt, dass für mich wirklich wichtig ist, Kontakt zu Menschen zu haben. Nicht nur, dass ich ohne ihn depressiv werde, ich brauche Menschen auch, um mich zu entwickeln. Ich brauche Gemeinschaft, um überhaupt voll und ganz funktionsfähig zu sein – in schönerer Sprache ausgedrückt: um gedeihen zu können. Um die Kraft zu haben, wirklich etwas zu bewirken. Deswegen wird einer meiner nächsten Schritte auch sein, mir so eine Lebensgrundlage zu schaffen – eine Gemeinschaft.

Ernte der Auszeit

Ich hab das Gefühl, ich hab so ziemlich alles hinterfragt, was geht, in dieser Auszeit. Gott sei Dank bin ich dabei auch anderen Menschen begegnet, die das ebenfalls getan haben, sonst wäre ich sicher durchgedreht. Noch nie in meinem Leben war ich so nah dran, der Mensch zu sein, der ich gerne wäre. In manchen Momenten bin ich sogar schon dieser Mensch. Und da kommen sich beide Seiten entgegen: die Seite, die etwas ändert. Und die Seite, die das, was ist, annehmen kann.

Bevor ich den Jahreskurs in GFK gemacht habe, waren alle Themen und Probleme von mir ein einziges verwirrtes Wollknäuel. Und nun haben sich daraus ganz viele einzelne Fäden gelöst, die alleine ganz klar sind. Gleichzeitig wird mein Herz immer weiter und ich fühle mich immer öfter richtig lebendig. Und ganz klar: nur mit der Auszeit, ohne Unterstützung, wäre das nicht so passiert.

Was mir geholfen hat

Ich wäre nicht da, wo ich gerade bin, hätte ich nicht all diese Seminare, Räume, Gruppen, … besucht. Vielleicht hätte ich ohne das Jahrestraining in Gewaltfreier Kommunikation nicht mal eine Auszeit gemacht. Oder sie wäre ganz anders ausgefallen.

Dazwischen bin ich zwar immer wieder zurück gefallen in alte Verhaltensmuster und Vermeidungs- und Betäubungsstrategien – Fernsehen, Computerspielen, Facebook, Bücher. Aber ich konnte mir irgendwann auch selbst helfen. Indem ich mir Zeit nahm, den unangenehmen Gefühlen Raum zu geben, oder indem ich mich daran erinnerte, dass ich mich gerne liebevoll betrachten will, anstatt mit Verachtung oder Verbitterung. In der Natur sein half mir auch. Und alles verlangsamen.

Dankbarkeit

Ich bin nach diesem Jahr unfassbar dankbar. Das wäre in diesem Rahmen nicht gegangen ohne das angesparte Geld, das ich im Laufe der Jahre von meiner Oma und meinen Eltern bekommen habe, und die Unterstützung meines Partners. Und das wäre auch nicht gegangen, hätte ich nicht den Mut gehabt und die Bereitschaft, mich in das Abenteuer Auszeit zu stürzen, ohne zu wissen, wie es danach weitergehen soll. Ich bin mir meiner Privilegiertheit sehr bewusst geworden – meinem Elternhaus, das immer zur Verfügung steht, meinem abgeschlossenen Studium, das irgendwo für mich auch Sicherheit bedeutet, meinem Netzwerk und meinen Freund*innen, und sogar dahinter noch zu wissen, dass es eine Existenzsicherung wie HartzIV gibt. Durch das alles war meine Existenz immer wie durch einen doppelten Boden gesichert. Ich kann gar nicht tief stürzen. Und ich weiß, dass das nicht für alle Menschen gilt.

Ich habe durch das Jahr auch erst verstanden, was Dankbarkeit wirklich bedeutet. Deswegen sind das da oben auch keine leeren Sätze, sondern voll gefüllte Worte.

Und weiter

Und nun die spannende Frage: wie geht’s weiter? Ich will mich nun erstmal in die Gemeinschaftsprojekt-Arbeit und GFK-Projekte stürzen. Und noch viel mehr lernen! Grad seh ich es recht entspannt, ob dabei am Ende Geld herauskommt oder nicht. Ich hab grad Vertrauen, dass sich Wege finden werden, wie ich gut versorgt sein kann.

Und nun zu dir: Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Haben dich meine Erfahrungen eher entmutigt oder bestärkt?

8 Meinungen zu “1 Jahr Auszeit – Erfahrungen, die ich teilen möchte

  1. Liebe Sabrina
    Ich hab deinen Bericht mit viel Neugier und großer Anteilnahme gelesen.
    Du bist in meinen Augen eine ganz wunderbare, mutige, kreative liebenswerte und schöne Frau und ich wünsche dir noch ganz viele Abenteuer und viel Glück in deiner weiteren Entwicklung.
    Schön dass ich dich kennengelernt habe!
    Das wollte ich dir nur kurz sagen, ich steh gerade am Parkplatz am Dexiweiher und warte auf meine Spaziergangsbegleitung
    LGSILLE

  2. liebe Sabrina,
    vielen dank für die o.g. links zu Seminaren, Räumen, Gruppen.
    vielleicht finde ich dort etwas das mich voran bringt
    dir weiterhin alles gute und geniesse deine Freiheit

  3. Liebe Sabrina,

    deine Worte sprachen wie aus meinem Herzen, danke dass du deine Erfahrungen mit uns teilst. Ich bin auch gerade in so einer Zeit und kann mit den Phasen und Energiekurven, die du schilderst sehr viel anfangen. Es ist so wichtig, zu wissen, dass es Menschen gibt, die die gleichen Gedanken und Gefühle haben und dass Fragen genauso wichtig wenn nicht sogar wichtiger sind als Antworten.. Alles Gute für dich!

    Marie

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