Per Anhalter fahren hat mich echt Überwindung gekostet. Fremde Leute ansprechen, mit fremden Leuten im Auto mitfahren, mit fremden Leuten über’s Wetter reden, … Dieser ganze „Fremde Leute“-Komplex machte mir etwas Angst. Zudem wird einem ja auch systematisch Angst vor dem Trampen gemacht: „Das ist doch viel zu gefährlich! Gerade als Frau!“ „Man hört doch so viel in den Nachrichten…“ „In der heutigen Zeit alleine als Frau…“
Deswegen startete ich meine ersten zaghaften Versuche eher aus der Not heraus. Denn mein Zug hatte (glücklicherweise) Verspätung, so dass ich den Anschlussbus nicht mehr erwischte, so dass ich wiederum eine gute Ausrede hatte, rumzufragen, ob denn jemand in meine Richtung fährt. Zwei Stunden Fußweg wären zwar auch akzeptabel, aber müssen auch nicht sein.
Mein erster Versuch per Anhalter zu fahren
Schon die zweite Frau, die ich fragte „Entschuldigung, fahren Sie zufälligerweise in Richtung Heimatdorf?“ war sofort bereit, mich mitzunehmen. Nachdem der Kindersitz nach hinten gepackt war, ging es los. Wir verstanden uns auf Anhieb hervorragend und plauderten den ganzen Weg über.
Das machte natürlich Mut auf mehr!
Der zweite Versuch
Beim zweiten Mal erwischte ich nach ein bisschen rumfragen tatsächlich wieder dieselbe Frau, die mich liebend gerne wieder mitnahm; weil es ja auch mehr Spaß macht, wenn man sich während der Fahrt unterhalten kann.
Da das mit der Fragerei am Bahnhof bislang so gut geklappt hat, bin ich nun auch voller Vertrauen in die Welt ein weiteres Mal so vorgegangen. Mit dem Zug zum Bahnhof, per Anhalter weiter.
Der dritte Versuch: diesmal dauert’s etwas länger
Diesmal hatte ich aber Pech am Bahnhof. Ich war zu früh dran und es stiegen kaum Leute aus. Alle, die ich fragte, fuhren in eine andere Richtung. Also ging ich los – per Pedes – in Richtung Heimatdorf. Ich beschloss, bis zur nächst größeren Straße zu laufen und von dort aus per Anhalter zu fahren. Schon das zweite Auto, dem ich den Daumen entgegen streckte, hielt an. Die ältere Dame meinte zwar, sie nehme sonst nie Stopper mit, aber ich sähe harmlos genug aus. Sie fuhr nicht den ganzen Weg bis zum Heimatdorf, aber ein gutes Stück, so dass ich mir über eine Stunde Fußmarsch sparte. Dafür war ich ihr sehr dankbar, und ich glaube, sie freute sich auch, eine gute Tat vollbracht zu haben.
Die ersten Erkenntnisse
Aus meinen zugegebenermaßen noch nicht sehr reichhaltigen Tramp-Erfahrungen komme ich bislang zu folgenden Erkenntnissen:
- Man sollte immer bereit sein, den Weg auch zu Fuß zurück zu legen. Kommt sonst kein Auto vorbei, ist die Enttäuschung groß.
- Im Dunkel per Anhalter fahren ist gar nicht so schwierig. Es ist aber lebensnotwendig eine Warnweste zu tragen! Ohne wird man einfach übersehen.
- Immer ein Lächeln auf dem Lippen haben!
- Weggabelungen bieten sich als Standort an, weil beim Abbiegen eh erst gebremst werden muss und sich der Autofahrer so leichter überwindet, gleich komplett anzuhalten.
- Direkt am Bahnhof fragen bringt echt was! Hier kann man sich auch gleich die Leute aussuchen, die sympathisch aussehen.
- Wenn man einen Termin hat, sollte man entweder viel Puffer einrechnen, oder lieber gleich mit dem Rad fahren. Stress macht keinen Spaß!
- Im Ort bzw. kurz nach dem Ortseingang hinstellen. Da wird abgebremst und wenn man eh schon bremst… ihr wisst schon.
Fazit: Die Menschen freuen sich, wenn sie eine „gute Tat“ vollbringen können. So hilft per Anhalter fahren nicht nur mir und der Umwelt, sondern auch dem Menschen, der mich mitnimmt!
Mittlerweile hab ich sogar die Erfahrung gemacht, dass die meisten Mitnehmer sogar noch einen Umweg fahren, um mich in mein Heimatdorf zu bringen anstatt mich auf dem Weg abzusetzen.
Weiterführendes
Hier gibt Bruder Leichtfuss Tipps für Trampen: Reisen per Anhalter – 15 Tipps für’s Trampen
Und ein spannendes Interview mit der 27jährigen Julia, die nach Malaysia trampt: Julia (27) reist per Anhalter nach Malaysia – allein
Und hier geht’s zu den weiteren Teilen der Reihe „Ohne Auto auf dem Land“:
Teil 1: Radfahren
Teil 3: Status Quo
Nachtrag vom 01.04.2014: Weitere Tramp-Erfahrungen hinzugefügt
Schöner Artikel! Es freut mich sehr, dass du auch so tolle Erfahrungen machen durftest!
Hey Timo, danke für’s vorbei schauen 🙂 Dein Blog und besonders das Interview mit Julia haben mich total darin bestärkt, das mit dem Trampen einfach mal auszuprobieren.
Trampen ist auf jeden Fall zu schaffen, besonders in der Region um „Heimatdorf“ 😉
Ich mache es eigentlich seit meiner ländlichen Jugend, mittlerweile mit einer Mitfahr-App in der Hinterhand.
https://play.google.com/store/apps/details?id=com.comuto&hl=de
Allgemein kann man aber sagen, dass die so oft gescholtene schwindende Solidarität unter den Menschen zumindest gerade in der Provinz weit besser ist als ihr Ruf. Wenn man nicht eben pünktlich zum Vorstellungsgespräch muss, auf jeden Fall eine sinnvolle Alternative.
Ja, die Erfahrung hab ich mittlerweile auch gemacht. Mittlerweile klappt es sogar mit dem nachts trampen. Nur an weite Strecken hab ich mich noch nicht rangetraut 🙂
Sehr schönes Experiment! Tatsächlich hat eine 4er Gruppe meiner Kommilitonen letztes Jahr den Versuch gestartet, innerhalb von 24 Stunden von Mannheim nach Köln und wieder zurück zu trampen. Girls vs. Boys. Jeweils zu zweit.
Die Mädels wurden sofort mitgenommen, hatten überhaupt keine Probleme eine Mitfahrgelegenheit zu finden, obwohl sie zu zweit waren, und waren quasi sofort in Köln und auch die Rückfahrt verlief wie am Schnürchen, während die Jungs ihr Experiment abbrechen mussten, weil keiner sie mitnehmen wollte.
Das ist natürlich kein aussagekräftiges Experiment über das Mitnahmeverhalten von Autofahrern, aber interessant finde ich den Ausgang trotzdem. =)
Wer über weite strecken trampt, dem hilft bestimmt das Hitchwiki: http://hitchwiki.org/de/Hauptseite
Danke für den Tipp!