Ein Versöhnungsversuch zwischen Veganer*innen und Fleisch-Esser*innen
Ich bezeichne mich als Veganerin. Das bedeutet, dass ich Tiere und Produkte, die aus Tieren gewonnen werden, nicht nutze und esse. Werte, die mir dabei wichtig sind, sind Respekt und Wertschätzung gegenüber unseren Mitlebewesen und die Gleichwertigkeit von Leben. Diese Werte teilen auch Menschen, die sich nicht vegan ernähren.
Wenn ich mit Menschen, die nicht selbst vegan leben, allerdings übers Fleisch essen rede, dann werden diese Gespräche oft sehr unangenehm – sowohl für mich als auch mein Gegenüber. Meiner Gesprächspartnerin ist es in der Regel so wichtig, nicht als schlechter Mensch dazustehen, dass sie sich weder in mich noch in das Leid der Tiere einfühlen kann. Und mir ist so wichtig, dass das unfassbare Leid der Tiere gesehen und anerkannt wird, dass ich mich ebenfalls nicht einfühlen kann. Gleichzeitig habe ich schon so viele Gespräche dieser Art geführt und bin so oft nicht verstanden worden, dass ich schnell müde, gereizt und frustriert werde. Das finde ich sehr schade, denn ich glaube mittlerweile, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns trennt.
In diesem Artikel geht es darum, den Fokus auf das Gemeinsame zu richten, anstatt auf das, was uns trennt. Dabei schreibe ich sehr offen über meine Gedanken- und Gefühlswelt. Gleichzeitig möchte ich eine systemische Perspektive aufmachen: Welchen Einfluss hat das Gesellschaftssystem, in dem wir leben, auf unsere Entscheidungen? Und zwar ein Gesellschaftssystem, in dem Dinge erlaubt sind, die durchaus als „unmoralisch“ bewertet werden können?
Ein Label ist immer auch eine Abgrenzung
Dass ich die Bezeichnung bzw. das Label „Veganerin“ für mich wähle, liegt daran, dass ich mich mit den oben genannten Werten sehr stark identifiziere.
Mit dieser Bezeichnung geht aber auch eine Abgrenzung einher – zu allen Menschen, die sich eben nicht als „Veganer*in“ bezeichnen und möglicherweise trotzdem meine Werte teilen. Wenn wir eine solche Bezeichnung wählen, zu der sich andere nicht dazu zählen, wählen wir immer auch – ob bewusst oder unbewusst – die Abgrenzung und die Distanz. Gleichzeitig wähle ich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, in dem Fall der Gruppe der Veganer*innen.
Innerhalb dieser Gruppe fühle ich mich wohl. Nicht nur meine Werte werden hier geteilt, sondern auch die konkrete Umsetzung stimmt überein: kein Fleisch und keine tierischen Produkte zu essen und zu benutzen. Dadurch fühle ich mich zu Menschen, die zu dieser Gruppe dazu gehören, automatisch mehr angezogen. Eine Anspannung, von der ich vorher nicht mal wusste, dass sie da ist, fällt von mir ab. Das Erleben von Zugehörigkeit passiert hier aber nicht nur durch die gemeinsame Gruppenbezeichnung. Es passiert auch dadurch, dass im Alltag Situationen wegfallen, durch die ich mit nicht-vegan lebenden Menschen erlebe, dass ich irgendwie außen stehe.
Ein Beispiel: Ich bin auf eine Feier eingeladen und muss nicht extra etwas Veganes mitbringen, damit ich dort auch etwas mitessen kann. Ich habe die gleiche Vielfalt zur Auswahl, die die anderen auch haben, muss mich vorher um nichts kümmern und bekomme auch keine mitleidigen Blicke, wenn ich auf einem Salatblatt knabbere während alle anderen an einem vollwertigen Gericht schmausen.
Und das ist nicht nur bei dem Thema „vegan“ so. Das ist immer so, sobald ich eine Gruppenzugehörigkeit gefunden habe, mit der ich etwas ganz Grundsätzliches teile. In so einer Gruppe lässt es sich wohl fühlen. Es liegen aber auch Gefahren darin:
- dass ich nicht mehr offen für andere Meinungen und Ideen bin,
- dass ich Menschen abwerte, die nicht zu meiner Gruppe gehören,
- dass ich wertvolle Kontakte und Beziehungen beende, weil ich mich nicht mehr verstanden fühle
- oder dass ich gesamtgesellschaftlich zu Trennung und Polarisierung beitrage.
Auf der Suche nach einer gemeinsamen Basis
Hier soll es darum gehen, wie wir wieder in Verbindung kommen können: die Menschen, die vegan leben, und die Menschen, die Massentierhaltung ablehnen und trotzdem Fleisch essen. Denn letztendlich sind wir nicht so weit voneinander weg: beide Gruppen teilen wichtige Werte, z.B. Respekt und Wertschätzung gegenüber unseren Mitlebewesen.
Dazu möchte ich ein Gespräch mit euch teilen.
Ich war auf dem GFK Online Festival in einem Seminar über Empathie mit Tieren. In einer Kleingruppe sagte jemand den Satz: „Ich esse auch nur ganz wenig Fleisch und auch dann nur, wenn ich weiß, wo es herkommt.“ Ich war überrascht, wie stark ich innerlich auf diesen Satz reagierte. Ich fühlte mich auf einmal sehr einsam und wie abgetrennt von den anderen aus der Gruppe. Es war als wäre das, was zuvor an Gleichklang durch den bisherigen Austausch zwischen uns entstanden war, wie weggeblasen. Und mein Kopf war voller Urteile und Bewertungen: „Das ist doch total unglaubwürdig. Das sagen ALLE! Und keiner tut es tatsächlich! Wenn alle, die das sagten, das auch täten, dann hätten wir ja keine Probleme! Wenn euch die Tiere wirklich so wichtig wären, dann würdet ihr auch vegan leben.“
Ich glaube, wenn wir in diesen Momenten verlangsamen, genau hinschauen und uns Unterstützung dabei suchen, unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen auf den Grund zu kommen, dann können wir den Boden wieder finden, auf dem wir gemeinsam stehen können. Also tat ich genau das. Ich holte mir Unterstützung in Form eines Empathie-Gesprächs bei einer ebenfalls auf dem Festival anwesenden GFK-Trainerin.
Einsamkeit als Grundgefühl
Die erste Überraschung dabei war, wie groß mein Schmerz über die Einsamkeit war, in die mich meine Reaktion katapultierte. Und dass es weniger der Satz an sich war, sondern meine Interpretation davon: „Wir haben doch nichts gemeinsam.“. Und wie groß die Sehnsucht danach ist, mit Menschen zusammen zu sein, die diese für mich so grundlegenden Werte teilen und danach handeln – und die mich letztendlich verstehen.
Doch als meine Unterstützerin die Frage stellte, ob ich gerne Teil einer solchen rein veganen Gruppe wäre, bemerkte ich, dass mir eben auch noch etwas anderes wichtig war: Dass alle dabei sein können, einen Wandel zu bewirken, egal an welcher Stelle ihres Weges sie sind und wie konsequent sie sind.
Sprache finden, die nicht urteilt
Zuerst meldete sich aber noch ein anderes Gefühl: Hilflosigkeit, ausgelöst durch einen inneren Widerstreit. Einerseits wollte ich gerne authentisch sein, auf der anderen Seite wollte ich keinen Konflikt riskieren und weiterhin gemocht werden. Hier half mir meine Unterstützerin dabei zu formulieren, was ich sagen könnte um dem gerecht zu werden. Auch dafür ist die Gewaltfreie Kommunikation ja sehr hilfreich. Es kam also so etwas ähnliches raus wie:
„Ich habe in der Vergangenheit öfter von Menschen gehört, dass sie nur Fleisch essen, von dem sie wissen, wo es herkommt. Dann beim Bestellen, Grillen oder Restaurantbesuch habe ich mitbekommen, dass dieselben Menschen überhaupt nicht auf die Herkunft des Fleisches geachtet haben. Das hat mich sehr irritiert, weil ich gern darauf vertrauen würde, dass mir Menschen die Wahrheit sagen. Das kommt mir in den Sinn, wenn du das sagst. Jetzt hab ich gemerkt, dass ich mich einsam und traurig fühle und mir Verbindung, Klarheit und Vertrauen fehlen. Magst du mir bitte sagen, wie es dir damit geht, was ich gerade gesagt habe?“
Dabei geht es mir gar nicht darum, zu hören, wie die Fleisch-Ess-Praxis der Person nun im Detail aussieht. Es geht um Verbindung und Gemeinschaft. Für mich brauchte es aber noch einen weiteren Schritt, damit ich wieder durchatmen, meine Urteile ziehen lassen und mein Gegenüber wieder als fehlbaren und verletzbaren Menschen wie mich selbst wahrnehmen konnte.
Durch Fühlen Verbindung herstellen
Irgendwann kamen wir zu dem Punkt, dass ich nicht mehr weiter wusste. Ich fragte meine Unterstützerin, wie es ihr denn gerade geht. Sie erzählte mir dann, dass sie sich auch zu denen zählt, die so gut wie nie Fleisch essen – dass sie aber eine Ausnahme für ihre über-80jährigen Nachbarn macht, wenn sie dort zu Essen eingeladen ist. Und wie getrennt von ihren veganen Freunden sie sich wahrnimmt, wie traurig sie darüber ist und wie gern sie eine Verbindung zu ihnen spüren würde. Und wie schwer es ist, zu wissen, was „das Richtige“ ist, auch in anderen Bereichen.
Als ich wahrnehmen konnte, wie groß auch ihr Schmerz darüber ist, wie wir mit den Tieren als unsere Mitlebewesen umgehen, stellte sich für mich eine Verbundenheit zwischen uns ein. Auch eine Erleichterung: Ja, sie sieht es auch und es berührt sie. Dabei wurde mir klar, was mir so oft fehlt in Gesprächen mit Menschen, die Fleisch essen: das Fühlen.
Ich höre so oft Rechtfertigungen und Rationalisierungen und Abwehr und so selten den Schmerz, die Trauer und das Mitgefühl. Und das gilt natürlich auch andersrum. Bei mir sind es die Urteile, die mich vom Fühlen abhalten und damit auch von der Verbindung.
Die Bedürfnisse der „anderen Seite“ wahrnehmen
Wenn ich mich von meinen Urteilen lösen kann, dann gelingt es mir auch, die Bedürfnisse auf der „anderen Seite“ wahrzunehmen. Zum Beispiel: Wie kompliziert das Leben oft ist und wie groß die Sehnsucht nach Leichtigkeit und Einfachheit ist. In diesem Artikel habe ich schon einmal genauer erforscht, welche Bedürfnisse uns Fleisch essen und Fleischverzicht erfüllen können.
Durch das Fühlen nehmen wir nicht nur Verbindung miteinander auf, sondern auch zu uns selbst und zu den Tieren. Dabei geht es nicht nur darum, das Leid der Tiere wahrzunehmen. Sondern es geht auch darum, anzuerkennen, dass unsere Mittel, zu Veränderung beizutragen, so begrenzt sind, dass uns manchmal einfach nicht mehr möglich ist, als „nur ganz selten Fleisch zu essen“. Und selbst, wenn wir unsere ganze Energie rein stecken, Infostände und Demos organisieren, etc. – dass selbst das möglicherweise nicht genug ist.
Durch gemeinsames Fühlen in Verbindung zu kommen gelingt im Alltag nur in wenigen Zusammenhängen. Es braucht zum einen die Fähigkeit und den Mut zum Fühlen, sowie einen Rahmen, der Vertrauen, Langsamkeit und Empathie bietet.
Systemische Lösungen entlasten
Doch es gibt noch andere Wege, die uns dabei helfen können, den Fokus auf das Gemeinsame zu richten: indem wir uns für systemische Lösungen einsetzen.
Wenn wir uns darauf fokussieren, was wir persönlich tun können, um Tierleid zu vermindern und/oder die Klimakrise zu entschärfen, dann lastet eine große Verantwortung auf uns als Einzelpersonen. Wer sich schon einmal damit beschäftigt hat, ökologisch und moralisch richtige Entscheidungen zu treffen, der weiß, wie schnell Überforderung, Unsicherheit und Ohnmacht dabei entstehen können. Man kann sich sehr lange damit beschäftigen, was genau „das Richtige“ ist. Manch einer entwickelt dabei seinen inneren Kompass, manch einer gibt aber auch auf – das sind die meisten.
Es ist längst klar, dass wir systemische Lösungen brauchen – d.h. Gesetze und Vorgaben, die es gar nicht erst möglich machen, dass wir uns für Massentierhaltung entscheiden, weil es diese dann gar nicht mehr gibt. Dazu können wir uns beispielsweise in einer Partei oder einer Organisation engagieren, wir können Lobbyarbeit machen oder Volks- und Bürgerentscheide initiieren. Und wenn wir diese nicht selbst initiieren wollen oder können, dann unterschreiben wir, verbreiten sie weiter oder wählen diejenige Partei, der wir am ehesten zutrauen, das System zu Gunsten der Tiere und der Menschheit als Ganze zu verändern.
Gemeinsamer Handlungsspielraum entsteht
Systemische Lösungen sind nicht nur effektiver, sie entlasten auch die Einzelperson. Diese muss nicht länger die komplette Verantwortung alleine tragen, das moralisch und ökologisch Richtige zu tun. Zudem trägt der Fokus auf die Einzelperson auch zu mehr Polarisierung und gefühlter Gegnerschaft bei. Wenn diese entfällt, entsteht gemeinsamer Handlungsspielraum. Wir können gemeinsam darauf hinarbeiten, das System zu verändern und z.B. Massentierhaltung abzuschaffen. Währenddessen kann der Druck abnehmen, alles „richtig“ machen zu müssen. Unsere eigenen ökologischen Entscheidungen treffen wir dann einfach so gut wir können. Natürlich werden wir uns auch da nicht immer zu 100% einig sein. Doch ein erster Schritt für eine bessere Zusammenarbeit ist getan, wenn wir uns nicht mehr als Gegner begreifen. Immerhin teilen wir schon einmal einige wichtige Werte miteinander: den Respekt und die Wertschätzung für unsere Mitlebewesen.
Liebe Sabrina,
wir kennen uns nun doch schon einige Jahre und gleichzeitig kennen wir uns auch wieder nicht. Ich habe dich immer für deinen Einsatz und deine Überzeugung geschätzt, doch der Abstand zwischen uns wurde nach meinem Gefühl schnell größer und dann fast unüberbrückbar, weil Fred und ich eben nicht vegan leben. Fast 8 Jahre haben wir auch das Fleisch gegessen, das sonst in der Tonne gelandet wäre und wir waren uns bewußt, was das für Fleisch ist. Wenn ein Tier schon getötet worden ist, wollten wir es nicht auch noch einfach in der Tonne sehen.
Heute leben wir an einem anderen Ort ein anderes Leben. Wir essen nach wie vor Fleisch, jedoch nur noch von Höfen, die wir persönlich kennengelernt und bei denen wir auch die Tiere und ihre Lebensweise gesehen haben. Wir werden auch in den nächsten Jahren nicht mehr zu Veganern werden, doch noch achtsamer durch unser Leben gehen und da gehört auch das Verständnis für andere Menschen dazu.
Ich könnte hier noch lange weiter schreiben, doch das Wichtigste für mich ist: Ich habe tatsächlich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder ein Gefühl der Verbindung zwischen dir und mir. Lange Zeit konnte ich mir kein persönliches Treffen mehr vorstellen, doch das hat dieser Blogartikel verändert. Zwar werden Fred und ich nicht mehr nach Bayern zurückkehren, doch wenn ihr mal eine Luftveränderung braucht, seid ihr uns in Nordfriesland herzlich willkommen.
Liebe Brigitte,
Ich bin dir total dankbar und berührt davon, was du schreibst. Mir war nicht bewusst, dass du das so empfunden hast und ich freue mich, dass so – trotz großer örtlicher Distanz – wieder ein Stück Verbindung entsteht. Mir macht das auch meinen eigenen Anteil klar – und ich glaube, ich verstehe jetzt auch noch besser, dass andere sich von mir (oder von anderen Veganer*innen) beurteilt sehen, selbst wenn wir gar nichts sagen. Weil doch ein Urteil mitschwingt – zumindest bei mir war es so. Und bisher hatte ich das immer als ausschließlich ein Problem der „anderen Seite“ gesehen.
Hallo Sabrina,
das ist ein toller Beitrag von dir. Ich bin seit einigen Monaten vegetarisch und möchte mich gerne vegan ernähren. Ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt bzw. schon lange ein schlechtes Gewissen wegen dem Konsum von Tierprodukten, konnte es im stressigen Alltag aber immer wieder ausblenden. Das geht wohl vielen so. Wenn ich jetzt mit meinen Bekannten darüber spreche, höre ich oft auch, dass sie entweder nur ausgewähltes Fleisch essen oder Argumente, warum vegane Ersatzlebensmittel und Soja auch problematisch sind. Also gehen in Verteidigungsmodus, obwohl ich sie nicht angreifen will. Ich sage nur, dass ich es nun schaffe darauf zu verzichten. Missioniere nicht. Da sehe ich, dass es etwas berührt in eigentlich jedem. Und da ist diese „kognitive Dissonanz“ (darüber habe ich erst vor kurzem gelesen): das eigene Verhalten stimmt nicht ganz mit den Werten überein und das ist unangenehm und man versucht es durch Rechtfertigung für sich selbst wieder „zurechtzurücken“.
Gerade der Punkt mit dem Label, das man sich selbst verpasst und damit abgrenzt und das es wichtig ist, dann die Gemeinsamkeiten zu finden. Das hast du gut rübergebracht.
Generell freue ich mich, dass ich auf deinen Blog gestoßen bin 🙂
Viele Grüße
Manu
Hi Manu, danke für deinen Kommentar 🙂 Ich freu mich, dass du ihn für dich bereichernd fandest und du zu meinem Blog gefunden hast 🙂