In Brüssel hat man sich letztens mit den Agrarministern der EU-Länder zusammengesetzt, um mal wieder gemütlich über die Gemeinsame Fischereipolitik zu schnacken. Das ganze dauerte über 18 Stunden und heraus kam: nicht so viel.
Darüber wundert sich wahrscheinlich schon lange keiner mehr. Es gibt ja so viel wichtigeres: zum Beispiel die Privatisierung des Wassers oder die Saatgut-Reform. Alles, was der Bürger nicht will, die EU aber schon.
Trotzdem: das mit den Fischen ist auch wichtig. Aber selbstverständlich nicht wegen den Fischen, sondern wegen den Fischern. Und wegen dem Verbraucher, der die Fische gerne isst.
Denn die europäischen Meere (und nicht nur die) haben ein Problem: sie sind größtenteils überfischt. Das bedeutet, dass mehr Fische gefangen werden, als geboren werden oder zuwandern. Die logische Folge: es werden weniger Fische. Wenn es weniger Fische gibt, werden auch weniger gefangen und dann können die Fischer nicht mehr so viele Fische verkaufen und die Verbraucher nicht mehr so viele Fische essen.
Dabei sollen eigentlich Fangquoten dabei helfen, dass so etwas nicht passiert. Hat anscheinend nicht so gut geklappt. Aber dafür gibt es ja nun die neue (geplante) Reform. Die soll bis 2020 einen stabilen Bestand an Fischen in den europäischen Meeren erreichen. Natürlich alles schrittweise, mehr kann man den armen Fischereinationen schließlich nicht zumuten. Also darf man wohl abwarten, ob sich 2020 dann noch munter Fische in den Meeren tummeln werden. Oder ob es dann doch leider schon zu spät war. Dumm gelaufen. Hat ja keiner ahnen können.
Videobotschaft von Greenpeace an Frau Aigner
Den Fischen ist es wohl mehr oder weniger egal, ob sie als Beifang sterben oder als Mahlzeit enden. Verschwendung ist es allemal, wenn ein Viertel (Schätzungen zufolge können das auch durchaus mehr sein) aller gefangenen Fische wieder tot ins Meer zurückgeworfen werden, weil sie nicht so gut verkauft werden können. Auf 5% will man diesen Beifang nun reduzieren, wohlgemerkt bis 2020.
Dass Fische überhaupt etwas empfinden können, das wird gerne abgestritten. Oder auch gar nicht in Erwägung gezogen. Wer so blicklos durchs Wasser glotzt, der kann doch nichts fühlen. Weil Fische so anders sind als wir, fällt es uns schwer, ihnen ähnliche Empfindungen wie uns selbst zuzuschreiben.
Intelligenz und Schmerzempfinden von Fischen
2010 beaufragte daher die schweizerische EKAH (Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich) zwei Studien, die dem Schmerzempfinden und der Intelligenz von Fischen auf den Grund gehen. Eine aus biologischer Sicht (Helmut Segner), die andere aus philosophischer Sicht (Markus Wild). Dass man so eine Studie überhaupt aus philosophischer Sicht angehen kann, mutet schon etwas seltsam an. Aber es ergibt Sinn, wenn man einen genauen Blick riskiert. Was genau bedeutet Schmerz und wie definiert man Bewusstsein? Welche Arten von Bewusstsein gibt es und welchen Tieren kann man welche Art von Bewusstsein zuschreiben? Zugegeben, ganz leicht ist es nicht zu lesen. Aber durchaus einen Blick wert.
Wer auf harte Fakten steht, der liest wahrscheinlich lieber die Studie aus biologischer Sicht. Die ist natürlich auch nicht die erste und einzige Ihrer Art. Doch sie nimmt Bezug auf viele Vorgänger-Studien, die das Bewusstsein von Fischen untersuchen und dadurch wird sie als Zusammenfassung umso wertvoller.
Sehr lange waren sich Wissenschaftler darüber einig, dass Fische keine Schmerzen empfinden können. Sie wären reine Reflexmaschinen mit einem 3-Sekunden-Gedächtnis, die keine bewussten Handlungen durchführen könnten. Heute weiß man mehr. Aber vielleicht ist „wissen“ auch das falsche Wort. Denn tatsächlich kann keiner wissen, was genau in einem anderen Lebewesen vor sich geht. Dennoch ist es keine Glaubensfrage, ob Tiere, insbesondere Fische, Schmerzen empfinden können. Die Wissenschaft bedient sich verschiedener Mittel, um Belege für oder wider die Schmerzempfindlichkeit von Fischen zu finden. Eines davon sind Beobachtungen von Fischen oder Experimente an Fischen. Beispielsweise wird Fischen Essigsäure in die Lippen gespritzt und man beobachtet, wie sich der Fisch an dieser Stelle reibt und versucht den Schmerz loszuwerden. Wird dem Fisch danach Morphium gespritzt, verhält er sich wieder ganz normal. Das Experiment ist allerdings umstritten, da es bei unterschiedlichen Versuchsaufbauten unterschiedliche Ergebnisse erzielte.
Ein Beispiel für Fischintelligenz, das mir besonders gut gefällt, ist die Jagdgemeinschaft von Muränen und Barschen. Beide jagen Fische, die sich im Korallenriff verstecken. Der Barsch ist tagaktiv und jagt außerhalb des Riffs; die Muräne ist nachtaktiv und kriecht den kleinen Fischen ins Riff nach, um sie dort zu erlegen. Wenn dem Barsch die kleinen Fische entwischen und sich im Korallenriff verstecken, hat er zunächst Pech gehabt. Oder? Der Barsch lässt sich jedoch nicht so schnell abschütteln. Anstatt dessen sucht er das Tagversteck der Muräne auf, wackelt mit seinen Kopf und bewegt sich nach oben und unten: das Signal für die Muräne, sich blicken zu lassen. Das tut sie auch und folgt dem Barsch, der immer wieder vor- und zurück schwimmt, um die Muräne auf dem richtigen Kurs zu halten. Die ist nämlich gar nicht gern im offenen Wasser unterwegs, sondern lieber an Grund oder Felsen. Haben die beiden es dann geschafft, den Platz zu erreichen, an dem der Fisch verschwunden ist, zeigt der Barsch wieder sein Signalverhalten: er „zeigt“ mit seinem Körper in die Richtung der Beute. Daraufhin kriecht die Muräne ins Riff. Wer nun die Beute erwischt, entscheidet der Zufall. Entweder die Muräne erwischt den Fisch, oder der Fisch entkommt der Muräne und der Barsch erwischt ihn, wenn er aus seinem Versteck kommt.
Taucher beobachten die Jagd von Muränen und Zackenbarschen
Gar nicht so dumm, wie er aussieht, der Fisch!
Aber das Beobachten von Verhalten allein ist einem Biologen nicht gut genug, um dem Fisch eine gewisse Intelligenz und ein gewisses Schmerzempfinden zuzuschreiben. Es wird auch untersucht, wie das Gehirn des Fisches aussieht, aus welchen Teilen es besteht und wie es sich vom Säugetier-Gehirn unterscheidet.
Dabei spricht der erste Eindruck erstmal gegen den Fisch. Denn der Fisch besitzt keinen Neocortex: das ist der evolutionär gesehen neueste Teil des menschlichen Gehirns, in dem unter anderem Schmerzempfinden und das Bewusstsein beheimatet sind. Für einige Biologen ist das Grund genug, dem Fisch das Schmerzempfinden abzusprechen. Und auch ihre Argumente klingen schlüssig. Dennoch muss das kein Ausschlusskriterium sein. Es ist nämlich genauso gut möglich, dass das Schmerzempfinden einfach woanders sitzt.
Dazu sagt Dr. Stephanie Yue Cottee (Animal Behavior and Welfare):
Stellen Sie sich vor, ein Fisch sagt zu einem Menschen: „Ich habe Flossen. Wenn ich keine Flossen habe, kann ich nicht mehr schwimmen. Deshalb sind Flossen essentiell wichtig zum Schwimmen. Menschen haben keine Flossen. Daher können Menschen nicht schwimmen.“
Jeder weiß, dass Menschen ja wohl mit ihren Armen und Beinen schwimmen können. Komisches Argument also. Nichtsdestoweniger wird genau das als Gegenargument für das Fischbewusstsein eingesetzt. Früher hat man nämlich Menschen den Neocortex entfernt, um sie von Depressionen und Angstzuständen zu heilen. Diese Menschen haben danach kaum noch etwas spüren können. Daraus zu schließen, dass Fische, weil sie keinen Neocortex haben, kein Bewusstsein haben können, ist kein ausreichender Beweis. Interessanter ist da die Beobachtung, dass Fische, die am Angelhaken hingen und wieder zurückgeworfen wurden, kaum Anzeichen von Schmerzen zeigen. Aber wie würde der Fisch Schmerzen zeigen?
Einig ist man sich darüber, dass Fische wahrscheinlich kein Selbstbewusstsein haben wie wir, aber viele Hinweise sprechen dafür, dass sie ein phänomenales Bewusstsein haben könnten, d.h. dass sie ihre Umwelt subjektiv erleben und bestimmte Empfindungen, wie Schmerzen und Freude, haben. Auch was das Schmerzempfinden angeht, wird angenommen, dass Fische wahrscheinlich eine einfachere Form von Schmerzen empfinden als wir Säugetiere, insbesondere Menschen. Wenn überhaupt.
Tatsächlich kann aber keiner Wissen, wie es im Kopf eines Fischs aussieht. Wir wissen ja nichtmal, wie bewusst ein Säugling oder ein Kleinkind ist. Wir können nur versuchen Hinweise zu sammeln. Dennoch: solange nicht bewiesen ist, dass Fische kein Schmerzempfinden haben, sollte darauf hingearbeitet werden, dass der Umgang mit Fischen dem Rechnung trägt. Dafür ist die Fischereireform ein wichtiger Schritt. Auch jeder einzelne kann sich überlegen, wo und ob er Fisch kauft. Aber aufgepasst: Lachs aus Aquakultur ist meistens Massenfischhaltung (siehe Minute 1:00):
Lachsfieber – Dokumentation über das Unternehmen ‚Marine Harvest‘
Dazu noch ein Infoblatt: Bio-Ratgeber Fische
Und hier nochmal die Quellen der Studien aufgelistet:
Fish – Nociception and Pain: A biological perspective (Helmut Segner)
Fische – Kognition, Bewusstsein und Schmerz: Eine philosophische Perspektive (Markus Wild)
Are fish the victims of ‘speciesism’? A discussion about fear, pain and animal consciousness (Stephanie Yue Cottee)
Can fish really feel pain? (JD Rose et al.)
Zum Thema Fische vielleicht auch noch interessant ist der Podcast vom Küchenradio über urbane Fischzucht. Trotz all dem Übel fallen da zumindest viele Transportkosten weg…
http://www.kuechenstud.io/kuechenradio/episoden/kr358-stadt-farmer/
Besonders großartig finde ich, dass du eine Fischpatenschaft übernehmen kannst, deinem Fisch einen Namen geben darfst, um ihn dann bei einem großen Grillfest zu verspeisen 😉
Aber faszinierend, was Menschen für Einfälle haben. Kann nicht recht beurteilen, wie toll das ist. Immerhin geben sie ja an, dass die Fische sich angeblich sehr wohl in der Besatzdichte fühlen. Hab grad nochmal nach Cortisol gesucht und bin auf das Dokument gestoßen: http://www.fv-heilbronn.de/pdf/stressbeifischen.pdf Aber noch nicht durchgelesen.