Erster Teil meines Experiments ohne Auto auf dem Land auszukommen
Jeden Morgen pilgern Tausende in ihren Autos in die Stadt um ihrer täglichen Arbeit nachzugehen. In jedem Auto sitzt eine Person. Sie fährt das Auto zum Arbeitsplatz; dort steht es dann den ganzen Tag rum und abends fährt es wieder nach Hause. Jeden Tag von Montag bis Freitag. Um ein Auto herzustellen, wird soviel Energie benötigt, wie ein durchschnittlicher Haushalt in 10 Jahren verbraucht [1]ca. 30.000 kWh. Im Schnitt besitzt jeder zweite Deutsche ein Auto [2]http://www.utopia.de/galerie/laendervergleich-wie-viele-autos-pro-kopf. Und wenn das Auto dann fährt, fahren im Schnitt 1,3 Leute mit. Aber die meiste Zeit steht es ja sowieso nur rum.
Als ich wieder auf’s Land gezogen bin, habe ich mir daher fest vorgenommen: Es muss auch ohne Auto gehen!
Meine Ausgangsposition
Der nächste Bahnhof ist 8 km entfernt, der zweitnächste 10 km. Der Bus zum nächsten Bahnhof fährt dreimal am Tag. Die Stadt, in der ich arbeite, – nennen wir sie der Einfachheit halber Nürnberg – liegt 30 km entfernt. Es ist Winter – zumindest laut Kalender. Die Temperaturen sind eher herbstlich, die Sonnenzeiten winterlich.
Der Plan: Fahrt mit dem Rad zum nächsten Bahnhof.
Zustand des Fahrrads: Okay, bis auf’s Licht.
Arbeitszeiten: Sehr früh oder sehr spät → Hin- oder Rückfahrt immer bei Dunkelheit.
Aber eigentlich klingt es doch machbar! Auf jeden Fall jetzt, wo es noch nicht schneit. Wären da nicht die Berge. Und die Dunkelheit. Drei Fahrten mit dem Rad hab ich jetzt hinter mir.
Erster Versuch: Bahnhof in 8km Entfernung
Der nächste Bahnhof in 8 km Entfernung. Start: 6:45 Uhr – stockfinstere Nacht. Erste Etappe: Bundesstraße – kein Radweg. Ich habe Angst um mein Leben. Zweite Etappe: Ein Radweg taucht auf. Entgegenkommende Autos lassen mich erblinden. Dritte Etappe: Durch’s Nachbardorf – endlich Entspannung. Vierte Etappe: Der Berg. Die Hölle. Das Licht geht aus. Fünfte Etappe: Es wird langsam hell, das Ziel scheint erreichbar. Aber der Berg endet nicht. Sechste Etappe: Der Berg flacht ab. Nun noch in die Zielgerade.
Nach 50 Minuten: Sie haben Ihr Ziel erreicht! YES!
Der Rückweg nachmittags bei Sonnenschein war wunderschön und ich bin in einer halben Stunde nach Hause geflitzt.
Zweiter Versuch: Bahnhof in 10km Entfernung
Anlaufstelle Bahnhof Nummer 2 in 10 km Entfernung. Start: 7:10 Uhr – nicht ganz so stockfinstere Nacht. Erste Etappe: Fahrradweg – nicht so schlimm, dass das Licht nicht geht. Etwas schlimmer: Google Maps schlägt mir eine Abkürzung durch den Wald vor – die in einer Sackgasse endet. Etappe zwei: Die Alternativroute geht über den Monsterberg. Etappe drei: Berg geschafft – jetzt bläst der Wind. Etappe vier: Ich denke mir: „Wenn ich jetzt zurückfahre, muss ich nicht mehr so lange fahren, wie wenn ich weiter fahre.“ Etappe fünf: Glühender Sonnenaufgang am Horizont. Es fällt mir schwer, das zu genießen. Etappe sechs: Durch’s Dörfchen – erst bergab – dann bergauf. Etappe sieben: Zielgerade!
Nach 90 Minuten: Sie haben Ihr Ziel erreicht. Warten Sie jetzt noch 15 Minuten auf den nächsten Zug und versuchen Sie dabei nicht zu erfrieren.
Die Rückfahrt: In einer halben Stunde die Berge runtergeflitzt.
Zwischenfazit: Das geht so gar nicht! Entweder ich muss ganz schnell viel fitter werden, oder ich finde eine andere Lösung. Eine Arbeitskollegin hatte die rettende Idee: ein Bus fährt von einer Bushaltestelle ca. 6km entfernt direkt nach Nürnberg. Daraus folgt:
Dritter Versuch: Bushaltestelle in 6km Entfernung
Anlaufstelle Bushhaltestelle. Start: 6:05 Uhr. Viel zu früh – es ist stockfinstere Nacht, aber der Scheinwerferkegel erhellt die Finsternis. Denn: Ich habe in der Zwischenzeit ein neues Fahrradlicht erworben. Ich radle entspannt über den Radweg und ein bisschen am Waldrand entlang. Plötzlich bin ich am Ziel.
Nach 30 Minuten: Sie haben Ihr Ziel erreicht, entspannen Sie sich kurz und kriegen Sie keinen Schrecken, wenn der Busfahrer beinahe an Ihnen vorbei fährt, weil er an dieser abgelegenen Haltestelle niemanden erwartet hätte.
Auch die Rückfahrt war genauso entspannt und schön zu fahren.
Man muss also nur hartnäckig genug sein. Geht nicht gibt’s nicht! Mitmenschen können eine wertvolle Hilfe bei der Problemlösung sein. Und die eigene Entschlossenheit inspiriert vielleicht auch andere.
Ich denke: Die Zeit, die man mehr braucht um zu Radeln, kann man gleich weniger arbeiten, weil man sich schließlich kein Auto mehr leisten muss. Körper und Geist danken es. Und was gibt es Schöneres, als unter dem Sternenhimmel am Waldrand entlangzuradeln und die glühenden Lichter der Stadt vor sich zu sehen?
Folgende Experimente zu „Ohne Auto auf dem Land“ stehen noch aus:
- Fahrgemeinschaft bilden: Sollte kein Problem sein
- Per Anhalter fahren: Für mich die größte Herausforderung
- Die ganze Strecke radeln (Google schätzt 2 Stunden): Vorerst vertagt auf die Sommermonate
Bleibt dran!
Hier geht’s zu den weiteren Teilen der Reihe „Ohne Auto auf dem Land“:
Teil 2: Per Anhalter und per Pedes
Teil 3: Status Quo
Wow, super. Da bin ich fast etwas traurig und zugleich beschämt mein Fahrrad eingewintert zu haben und stelle mir gleichzeitig die Frage, ob das wirklich zum Schonen des Drahtesels oder doch nur meiner eigenen Faulheit wegen so kam.
Hey Flo, schön von dir zu lesen! Ich hatte mein Fahrrad auch schon winterfertig gemacht, aber irgendwie fand ich dann, dass es noch nicht kalt und vereist genug dafür ist 😉
sehr schoener beitrag!
mein lange gehegter gedanke „kauf dir ein e-bike“ schoss mir beim lesen wieder durch den kopf … waere auch fuer dein experiment geeignet …
ich bleibe gespannt.
Ja, E-Bike für Berge ist schon praktisch! Aber da bin ich zu stolz für – noch 😉 Hätte beim E-Bike auch ein bisschen Angst, dass es geklaut wird. Immerhin steht es ja doch ne ganze Zeitlang rum und ist ganz schön teuer. Aus Nachhaltigkeitssicht natürlich deutlich besser als ein Auto, aber durch den Akku – der ja einige seltene Elemente benötigt – und die Elektronik schon schlechter als ein normales Fahrrad (schätz ich jetzt einfach mal wagemutig, ohne was nachgelesen zu haben ;)). Vorteil ist auf jeden Fall, dass man auch lange Strecken gut bewältigen kann, ohne superfit zu sein und so wahrscheinlich öfter zum E-Bike greift, als man sein Fahrrad benutzen würde 🙂 Danke für deine Gedanken!
Hui, das klingt nach viel Anstrengung. Ich habe auch mal mit dem Fahrrad geliebäugelt um — in den Sommermonaten — zur Arbeit zu fahren (ca. 14km). Fast die ganze Strecke gibt es prima Radwege. Aber es erfordert doch *sehr* viel Fitness. 😉 Aber dafür gibt’s ne schöne Bahnverbindung — da kann ich nebenbei noch Stricken. 😀 Aber wenn der nächste Bahnhof so weit entfernt liegt, ist das natürlich blöd.
Hut ab vor deinem starken Willen auf’s Auto zu verzichten! Ich wünsche dir viel Spaß und Glück beim Ausprobieren weiterer Alternativen. 🙂
Bahnfahren ist ja eigentlich genauso gut. Ich fahr ja auch teils Fahrrad, teils Bahn/Bus. Nur dass Fahrradfahren noch den Extra-Fitness-Bonus bringt 😉 Aber 14 km sind schon ein ganz schönes Stück, wenn man jeden Tag fährt. Ich hab ja gerade auch den Vorteil, dass ich mich nur 2-3mal die Woche aufraffen muss 🙂
Sehr ausführlich und ehrlich beschrieben, was mich an meine Zeit erinnert, als ich 1999 das Auto abgemeldet habe, und seitdem nur noch mit dem Fahrrad (MTB) unterwegs bin.
Deshalb hier ein kleiner Mutmacher – mit jedem mal wird es besser!
Denn die Kondition wird mit jedem mal besser, was sich auch gesundheitlich bemerkbar macht.
Zudem wird der Wille gestärkt, indem man immer häufiger seinen inneren Schweinehund überwindet – und stärkerer Wille bedeutet gleichzeitig mehr selbstvertrauen.
Dazu der Aspekt den du schon angeführt hast, daß man sich ohne Auto eine Menge Geld spart, das man nicht mehr erarbeiten muß – mehr Freizeit und Lebensqualität.
Bei mir kam hinzu, daß ich viel ruhiger und entspannter wurde, denn der ganze Ärger über – meiner Meinung nach – all die fahr-untauglichen Menschen, riß abrupt ab :O)
Es gibt sehr viele positive Dinge – auch Gedanken und Überlegungen, die sich im Laufe der Zeit einstellen, wenn man es mit 1MS (einer Menschenstärke) angeht.
Ich persönlich freue mich immer, wenn ich Menschen lese, die auf irgendwelche Weise aus dem gesellschaftlichen Karussell aussteigen, und ihr Leben alternativ in die Hand nehmen – denn die Zeit ist mehr als reif dafür. Lebensqualität statt Quantität.
Toller Blog, den du betreibst… werd öfter mal zum lesen kommen :O)
Also, bleib am Ball – bzw. am Fahrrad…
Ich freue mich – bin gerade ganz spontan hierauf gestoßen. Alle Achtung – tolles Vorhaben. Das erinnert mich total an das, was ich selbst als Idealbild vorhabe – aber bisher nur teilweise umgesetzt habe. Wir wohnen auf dem Land (Vulkaneifel). Ich habe es 25 km zur Arbeit (eine Strecke) und meine Liebste 11 km je Strecke. Leider arbeiten wir in entgegengesetzter Richtung. Im Moment haben wir noch zwei Autos…. Aber wir sind dabei zumindest eines abzuschaffen. Ich habe mir – nachdem ich echt 3 Jahre damit geliebäugelt hatte – ein e-bike gekauft. 25 km pro Strecke, also 50 km am Tag, sind halt echt ein Wort. Und die Fahrt – wie beschrieben in der Dämmerung, an Wald und Wiesen vorbei, bei mir z.T. durch Naturschutzgebiet etc. – ist herrlich. Man muss sich eben nur aufraffen. Ohne Unterstützung hätte ich hier keine Chance – daher das e-bike. Nun wollen wir noch ein zweites kaufen und eines der Autos abschaffen.
Toll, schreib weiter – das motiviert!!!
Liebe Silke, freut mich sehr zu hören, dass ich dich motivieren und inspirieren konnte 🙂 25km pro Strecke sind schon einiges! Ich denke aber, gerade jetzt im Sommer (wenn es nicht gar so heiß ist wie heute), macht es auch sehr viel Spaß, mit dem Rad zu fahren. Gerade, wo du so schön beschreibst, wie toll der Weg eigentlich ist. Ich drück dir jedenfalls ganz fest die Daumen, dass du immer genügend Motivation findest und deiner Idealvorstellung jeden Tag ein Stückchen näher kommst 🙂
Hallo,
sehr schöner Beitrag. Derzeit überlege ich auch komplett aufs Auto zu verzichten. Ich wohne auch auf dem Land und meine nächste Einkaufsgelegenheit ist ca. 4 km entfernt.
Meine Arbeitsstelle liegt direkt neben dem Wohnzimmer 🙂
Einkäufe und Fahrten in der Umgebung habe ich auch schon im Sommer meist mit dem Rad erledigt. Die Herausforderung ohne Auto wäre dann eigentlich nur der Winter – also der echte Winter – und die Motivation bei schlechtem Wetter.
Wie sind denn mittlerweile Deine Erfahrungen dazu?
Gruß
Michael
Hallo Michael,
Das klingt doch super machbar bei dir! Ich hab die Erfahrung gemacht, wenn ich wirklich regelmäßig mit dem Fahrrad fahre, dass dann eine Gewöhnung eintritt. Dank dieser ist es dann auch bei schlechtem Wetter und Winter nicht mehr so schwierig, sich zu motivieren. Es ist dann einfach normal, mit dem Rad zu fahren. Ich hab auch gemerkt, wenn ich mal ne Zeitlang krank war und länger nicht Rad gefahren bin, dass ich bei schlechtem Wetter deutlich weniger geneigt war mit dem Rad zu fahren. Und passende Klamotten sind natürlich auch wichtig: Regencape für Regenwetter, Schneehose für den Winter, gutes Licht bei Dunkelheit, …
Bei Schnee und Eisplatten ist es aber wirklich schwierig und auch gefährlich. Eine Freundin von mir hat sich z.B. für den Winter ein Dreirad gekauft, nachdem sie einmal mit dem normalen Rad übel ausgerutscht war. Mit dem Dreirad fällt man halt nicht so leicht um.
Aktuell fahre ich 7km in die Stadt rein und 2km bis zum nächsten Supermarkt – das hat sich ein bisschen verändert, seitdem ich den Artikel geschrieben habe.
Hilft dir das ein bisschen weiter? 🙂
Liebe Grüße,
Sabrina
Liebe Sabrina,
ich entdecken immer wieder tolle Sachen in deinem Blog, vielen Dank!
liebe Grüße
Joachim